Rollenspielartikel
Diesen Artikel fand ich vor vielen Jahren auf dem Server der
Regensburger Tafelrunde.
Was ist Rollenspiel? (Ein gaengiger Erklaerungsansatz...)
Viele, die Rollenspiel zu erklaeren versuchen, bringen das Beispiel mit
einem Buch:
"Stellen Sie sich vor, Sie lesen ein spannendes Buch. Waehrend des Lesens
wissen Sie vorher nicht, was im Verlauf der Geschichte passieren wird.
Und wie oft passiert es Ihnen, dass Sie sich in der Situation der
Hauptperson des Buches anders verhalten wuerden, als diese es tut.
Stellen Sie sich als naechstes vor, Sie koennten saemtliche Aktionen dieser
Hauptperson selber bestimmen. Sie koennten bestimmen, was die Hauptperson
sagt und wie sie handelt.
Leider ist ein Buch in diesem Punkt sehr inflexibel, schliesslich hat es
einen festen Ablauf. Stellen Sie sich nun vor, dass der Autor des Buches
persoenlich anwesend ist. Er kennt die Geschichte und kann am ehesten
beurteilen, wie die Handlung weiterlaufen wuerde, wenn sich die Hauptperson
in einem bestimmten Moment zu etwas anderem entschloesse. Im Rollenspiel
sind SIE quasi der Spieler der Hauptperson, der AUTOR der Spielleiter.
Letztlich ist das ganze eine Unterhaltung zwischen dem Autor und Ihnen.
Sie uebernehmen die Rolle der Hauptperson und sagen, was diese tut. Der
Autor, der die Geschichte zumindest vom 'normalen' Verlauf her kennt,
reagiert auf Ihre Aktionen mit einem neuem Handlungsverlauf.
Da es in einem Buch meist noch weitere Hauptpersonen gibt, stellen Sie
sich einfach vor, dass diese Rollen von Ihren Mitspielern uebernommen
werden.
Auf diese Weise koennen saemtliche Spieler als Hauptpersonen der Geschichte
interagieren. Der Spielleiter uebernimmt alle anderen in der Geschichte
auftauchenden Personen und die Weiterfuehrung derselben in deren Reaktion
auf die Aktionen der Hauptpersonen.
Spieler wie auch Spielleiter schluepfen in diesem Spiel also in die Rolle
einer ausgedachten Person, daher der Name 'Rollenspiel'."
Wie laeuft das Spiel ab? (Ein weiterer Erklaerungsansatz...)
Rollenspiel zaehlt zu den Gesellschaftsspielen. Man spielt es zu mehreren
in gemuetlicher Runde. Die Idee des Spieles ist es, gemeinsam eine
Geschichte zu erleben, wobei jeder Spieler eine der Hauptpersonen
("Charaktere") der Geschichte spielt.
Vor dem Spiel wird ein Spielleiter bestimmt. Dieser denkt sich - aehnlich
wie ein Buchautor - bereits vor dem ersten Treffen mit den Spielern das
Grundgerippe einer Geschichte aus. Dieses Grundgerippe ist noch keine
abgeschlossene Geschichte. Es hat noch keinen genau festgelegten Ablauf
und auch kein Ende. Nur die wichtigsten Handlungselemente stehen
weitgehend fest. Waehrend des Spiels muss staendig improvisiert werden, daher
kommen im Laufe der Zeit weitere Handlungselemente hinzu.
Der Spielleiter teilt den Spielern vor dem Spiel mit, welcher Art die
Geschichte sein soll. Manchmal wird das auch vorher gemeinsam bestimmt.
So eine Geschichte kann an beliebigen Orten und zu beliebigen Zeiten
spielen. Es kann ein Abenteuer im wilden Mittelalter sein, ein Krimi, ein
Science-fiction, Fantasy, eine Geschichte um Politik, Liebe, Geheimnisse,
Erforschung etc... Wie in einem normalen Roman ist alles moegliche als
Hintergrund verwendbar.
Meines Wissens nutzen viele Spielgruppen "Fantasy" als Hintergrund, da es
dort die meisten Moeglichkeiten gibt, Geheimnisse, Mystik, Heldentaten,
Liebe, Tod, Phantasie und Abenteuer zu erleben.
Alle Personen, die in der Geschichte auftauchen sollen, bezeichnet man als
"Charaktere". Der Begriff stammt aus den englischen Regelwerken und steht
fuer die ROLLE. Jeder Spieler denkt sich seinen eigenen Charakter mit einer
Hintergrundgeschichte aus. Zu dieser gehoeren unter anderem der Beruf, die
koerperlichen Attribute (z.B. Koerpergroesse, Erscheinungsbild, Staerke,
Geschicklichkeit etc.), erlernte Fertigkeiten (Tanzen, Naehen, Reiten etc.)
und eine Vorgeschichte (wo geboren, Alter, bisher erlebtes etc.).
Diese ausgedachten "Charaktere" muessen nicht unbedingt etwas mit den
wirklichen Faehigkeiten und Moeglichkeiten des Spielers zu tun haben. Beim
Darstellen des "Charakters" legen aber viele Spieler auch etwas ihrer
eigenen Persoenlichkeit hinein. Humor soll hier nur als ein Beispiel
genannt sein.
Da in einem Buch in der Regel nicht nur ein paar "Charaktere" auftauchen,
schluepft der Spielleiter bei Bedarf in die Charaktere aller anderen
Personen. Ausserdem ist er zustaendig fuer alle Beschreibungen von
Schauplaetzen.
Wenn die Spieler sich beispielsweise dazu entschliessen, dass ihre
"Charaktere" in der Geschichte eine Bar betreten, spielt der Spielleiter
saemtliche anderen anwesenden Personen (beispielsweise den Wirt, die
Wirtin, die Bedienung und natuerlich die anderen Gaeste).
Noch konkreter!
Wenn alle zusammensitzen und die Spieler ihre "Charaktere" vorbereitet
haben, dann gibt der Spielleiter eine Einleitung fuer die Geschichte. Das
kann man sich vorstellen wie in einem Abenteuerroman, der in der Ich-Form
geschrieben ist: den Spielern ist nur das Vorwissen bekannt, das ihre
"Charaktere" durch das bisher Erlebte haben. Was sie genau vor Beginn der
Geschichte an Erfahrungen gemacht haben, hat der Spielleiter entweder
alleine festgelegt oder vorher zusammen mit dem jeweiligen Spieler
ausgearbeitet. Die Einleitung soll die Spieler zu der Stelle fuehren, an
der sie ihre "Charaktere" das erste Mal agieren lassen,und dient auch zum
Erzeugen von Neugier (auf das bevorstehende Abenteuer) und Spannung.
An dieser Stelle stellen sich jetzt viele Aussenstehende vor, dass die
Spieler wie Schauspieler im Freien Theater ihre "Charaktere" ausspielen. Das
ist nur halb richtig. Als Rollenspieler beschreibt man normalerweise nur
mit Worten, Mimik und Gestik, was der "Charakter" sagt und tut.
Ein kleines Beispiel:
- Spielleiter:
- Wenn Ihr die Tuer zur Bar oeffnet, schlaegt Euch warme,
verrauchte Luft ins Gesicht. Der Raum ist acht Meter breit
und zehn Meter lang. Die Waende sind holzvertaefelt und mit
Bildern von alten Schiffen verziert. Fuenf der sieben
Tische sind von insgesamt vierzehn Gaesten besetzt. Ein
Kellner bringt gerade Bier an einen der Tische. Eine Frau
- um die 40 Jahre alt - steht hinter der Theke und waescht
Glaeser.
- Spieler A:
- Ich betrete den Raum und gehe geradewegs auf die Theke zu.
- Spieler B:
- Auch ich gehe in den Raum und schaue mir die Gaeste genauer
an. Kenne ich einen der Gaeste?
- Spielleiter:
- Wenn Ihr hereinkommt, sehen einige Gaeste kurz auf, widmen
sich dann aber wieder ihren Gespraechen. Du erkennst
niemanden.
- Spieler A:
- Ich sage zu der Frau: "Mein Name ist Korten. Ich bin mit
meinen Freunden auf der Suche nach einem Fischer. Sein
Name ist Goldruh. Kennen Sie ihn?"
- Spielleiter:
- "Goldruh? Mhhh, warten Sie... Was wollen Sie denn von ihm?"
- Spieler A:
- "Wir sind im Auftrag seiner Tochter hier. Sie kann ihn per
Brief nicht mehr erreichen und hat uns wegen Ihrer
kaputten Beine beauftragt, Ihren Vater zu finden."
- Spielleiter:
- Die Frau schaut Dich einen Moment durchdringend an.
"Zuletzt war er vorgestern hier, ist dann aber frueh
gegangen. Er wohnt unten am Kai."
... usw. ...
Schon in diesem kurzen Beispiel kann man sehen, wie sich eine kleine
Geschichte entwickelt. Durch die Beschreibung dessen, was die "Charaktere"
sagen und wie sie handeln, entsteht ein Handlungsfluss.
Damit bleibt eigentlich nur noch die Frage offen, wie man Situationen in
der Geschichte abwickelt, die mit z.B. koerperlichen AKTIONEN zu tun haben.
Wenn beispielsweise ein Spieler seinen "Charakter" ein Regenwasserrohr
hochklettern laesst, wer entscheidet, ob ihm das gelingt? Fuer den
Spielleiter waere dies eine undankbare Aufgabe, da er beim Rollenspiel
moeglichst eine neutrale Position einnehmen soll. Aus diesem Grund und zur
Erhoehung der Spannung existieren auf dem Spielemarkt REGELN fuer
Rollenspiel. Der Ausgang einer unbestimmten Situation wird normalerweise
mit dem Wuerfel bestimmt. Wie auch bei anderen Spielen muss der Spieler zum
Gelingen einer Aktion eine bestimmte Augenzahl unter- oder ueberwuerfeln.
Auf diese Weise hat man ein Zufallsmoment, das Spannung im Spiel erzeugt.
Es gibt eine Vielzahl verschiedener Regelwerke auf dem Markt, die fuer
unterschiedliche Arten von Geschichten geeignet sind.
Wenn man als Aussenstehender mal bei einer durchschnittlichen
Rollenspielrunde zuhoert oder mitmacht, wird man feststellen, dass die
gespielten Geschichten oft - aber nicht immer - mit Gewalt zu tun haben.
Vor allem fuer juengere Spielern ist es meist faszinierender, Abenteuer mit
Schwert und Schild zu erleben als Rollenspiel auf Basis von Gespraechen und
das beschreibende Darstellen der "Charaktere". In solchen Geschichten geht
es dann oft um Monster und Gefahren, derer man sich im Laufe des Spieles
durch Kaempfe entledigt. Oft werden zur Darstellung von solchen
Kampfszenarien kleine Zinnfiguren zur Hilfe genommen.
Spielrunden mit aelteren Spielern bevorzugen meist eine Mischung aus
beidem, also Abenteuer, aber mit schoenem Rollenspiel der Charaktere in
Hinblick auf eine gute Geschichte.
Ein Rollenspielabenteuer eignet sich normalerweise nicht dazu, es am Ende
aufzuschreiben und als Buch herauszubringen. Man sollte bedenken, dass
alles waehrend des Spiel improvisiert wird, daher nur wenig Qualitaet, aber
viel Spielspass dabei herauskommt. Ein Buchautor hat sehr viel mehr Zeit,
ueber die Charaktere im Buch und ihre Handlungen nachzudenken.
Was macht am Rollenspiel Spass?
Der faszinierendste Aspekt am Rollenspiel ist sicherlich die Moeglichkeit,
mit viel Kreativitaet in eine fremde Rolle zu schluepfen und diese
darzustellen. Rollenspiel bietet Spass in geselliger Runde, Kommunikation,
Gruppendynamik, Spannung, Abenteuer und die Moeglichkeit, fuer den
Spielabend aus den Alltagsproblemen auszubrechen. Leider wird letzterer
Aspekt von einzelnen labilen Menschen so exzessiv betrieben, dass man von
Realitaetsflucht sprechen muss.
Was ist Liverollenspiel?
Das Liverollenspiel ist eine Variante des normalen Rollenspiels. Bei
diesem Spiel rueckt der Aspekt des Schauspielens und der "Action" in den
Vordergrund. Es hilft dabei vielleicht die Vorstellung von den heutzutage
immer oefter stattfindenden Mittelaltermaerkten. Die Teilnehmer schluepfen in
ein Kostuem und bemuehen sich, ihre Rollen glaubwuerdig darzustellen.
Beim Liverollenspiel herrschen die Fantasy-Geschichten vor. Wenn man also
im Wald Menschen sieht, die sich mittelalterlich oder einfach
phantasievoll verkleidet haben, dann hat man es meistens mit
Liverollenspielern zutun.
Fuer Liverollenspiele existieren sehr strenge Regeln, die die Sicherheit
des einzelnen Teilnehmers garantieren. So zum Beispiel werden
Polsterwaffen verwendet, sollte es zu Kampfsituationen kommen.
Koerperlicher Kampf wie auch Kopf- und Halstreffer mit einer Polsterwaffe
sind bis auf abgesprochene Ausnahmen verboten. Vergleicht man die
Sicherheit von Liverollenspiel mit der von bekannten Sportarten wie
Fussball, Handball oder Skifahren, so sind letztere bei weitem
gefaehrlicher.
Liverollenspiele finden oft mit 100-200 Teilnehmern auf einer Burg und in
deren Umgebung statt. Die Burg stellt dabei meist die Stadt dar, in der
Adel, Haendler, Gaukler und andere Bewohner leben. Ausserhalb der Stadt
zelten die Spieler, die Besucher der Stadt spielen. Je nach Rolle haben
die Spieler unterschiedliche Aufgaben. Das kann beispielsweise die
Errettung eines freundlichen Drachens vor einer boesen Jungfrau sein wie
auch politisches Intrigenspiel, das Aufspueren von Artefakten oder der
Schutz eines Edelmannes vor Attentaten. Vor allem der Aspekt Abenteuer
steht beim Liverollenspiel im Vordergrund.
Liverollenspieler sind gerne unter sich. Bei dieser Art Spiel stoert es die
Atmosphaere sehr, wenn Touristen in den Spielszenen herumlaufen, mit den
Spielern reden wollen oder sogar die privaten Zelte betreten. In der Regel
wird man als Aussenstehender dennoch freundlich behandelt.
Eine weitere Faszination am Liverollenspiel ist sicherlich auch das
Basteln und Schneidern von Kostuemen, Kostuemteilen und Requisiten.
Das kann zwar ganz schoen ins Geld gehen, haengt aber wie bei anderen Hobbys
auch von den Vorlieben ab. Wenn es dem Geldbeutel nicht gut geht, muss man
ja nicht unbedingt gleich einen noblen Ritter mit teurem Kostuem spielen.
Es gibt viele schoene Rollen, die man mit wenig Geld und einem einfachen
Kostuem darstellen kann.
Die Kosten des einzelnen Teilnehmers, an einem nichtkommerziellen
Liverollenspiel teilnehmen zu koennen, sind sehr niedrig. Normalerweise
kostet z.B. ein Spiel ueber 6 Tage mit Vollverpflegung, Burgmiete,
Requisiten der Spielleitung etc. nur ca. 180,- DM.
Was macht am Liverollenspiel Spass?
Beim Liverollenspiel bewirken sehr aehnliche Gruende den Spielspass wie beim
normalen Rollenspiel am Tisch. Darueber hinaus hat man bei diesem Spiel die
Moeglichkeit, aus den Staedten herauszukommen und fuer ein paar Tage in der
Natur zu zelten. Ebenso sind das Basteln der Kostueme und Requisiten,
koerperliche Bewegung, das kaempferische Messen mit anderen Spielern und vor
allem die Moeglichkeit des Schauspielens weitere Punkte, die zum
persoenlichen Spielspass beitragen.
Wer spielt Rollenspiel und Liverollenspiel?
In Deutschland spielen um die 250.000 Menschen Rollenspiel und einige
tausend Menschen Liverollenspiel.
Rollenspieler sind in der Regel zwischen 12 und 50 Jahren alt, der
Durchschnitt liegt wohl bei Anfang 20. Da einige Liverollenspiele unter
anderem wegen der Haftung erst ab 18 Jahren und die Kosten und
Fahrentfernungen zu einem Spiel oft gross sind, liegt das
Durchschnittsalter hier bei Mitte 20. Auch beim Liverollenspiel sind alle
Altersgruppen vertreten.Tendenz geht aber eher zu aelteren Teilnehmern.
Worin besteht die berechtigte Kritik am Rollenspiel?
Rollenspiel macht sehr viel Spass. Man entkommt fuer die Stunden des Spieles
den Alltagssorgen, vergisst den Stress und kann sich in einer Rolle
entfalten. Im Rollenspiel sind Probleme loesbar. Man hat Erfolgserlebnisse,
die man im wirklichen Alltag normalerweise in dieser Form nicht hat. Oft
identifiziert man sich mit seiner Rolle, die sehr viel einflussreicher und
begabter ist, als man selbst im wirklichen Leben. Genau da liegt auch die
Gefahr.
Solange man Rollenspiel als Spiel sieht, als Moeglichkeit, sich zu
entspannen, Spass zu haben, Abenteuer zu erleben, kreativ zu sein und mit
anderen gesellig zu kommunizieren, ist es meiner Meinung nach eines der
produktivsten Spiele auf dem Markt.
Wenn es jedoch dazu benutzt wird, ueber eine Unterhaltungsfunktion hinaus
zu einer Ersatzwelt zu werden, also zur Realitaetsflucht verwendet wird,
dann wird es langsam gefaehrlich. In diesem Fall bietet das Spiel ein
grosses Suchtpotential. Aehnlich wie viele Menschen sich vom Fernsehen
berieseln lassen, anstatt mit Freunden oder Partner ueber ihre Probleme zu
reden.
Zusammengefasst sind Rollenspiele wie auch Liverollenspiele fuer labile
Menschen nicht geeignet. All dies trifft auf Fernsehen, Alkohol und
vergleichbares in aehnlicher Weise zu:
"In Maszen ist es schoen, in Massen nicht!"
Wenn ein Mensch tagein, tagaus Rollenspiel spielt und Schule, Partner,
Beruf und wirkliche Probleme vernachlaessigt, dann ist Rollenspiel fuer ihn
nicht geeignet sondern richtet Schaden an.
Rollenspiel und Medien
Einleitung
Anlass fuer diesen Artikel ist die am 8.11.1994 im Auslandsjournal des ZDF
gesendete Reportage ueber einen Jungen, der angeblich durch Rollenspiel in
den Selbstmord getrieben worden sein soll. Rollenspiel wurde dort mit
Sekten verglichen und der Spielleiter als Guru bezeichnet. Dieser koenne
die Leute psychisch abhaengig machen. Auch wurde von einem Fall berichtet,
bei dem ein paar Liverollenspieler Touristen zu Tode gesteinigt haben
sollen. Gezeigt wurden auch Szenen aus einem Liverollenspiel, die von den
Teilnehmern gut geschauspielert, in der Reportage aber unterschwellig als
bedrohlich und fremdartig dargestellt wurden. Gekroent wurde die Reportage
mit der Aussage der Moderatorin, dass "dieses Spiel natuerlich nicht immer im
Tod enden muss."
Da sich auch schon an anderer Stelle - bislang immer nur in der
Sensationspresse (BamS, DASS-N3, RTL-Explosiv) - aehnliche Berichte fanden,
die zum Teil noch mit Vorwuerfen wie Okkultismus glaenzten, will ich
versuchen, das Informationsdefizit von Journalisten und anderen
Aussenstehenden mit diesem Artikel zu beheben. In Hinblick auf den Bericht
des ZDF-Auslandsjournals, welches ich bislang fuer serioes und kompetent
hielt, werde ich in Zukunft auch anderen Berichten der Sendung deutlich
kritischer gegenueberstehen. In der Sendung wurden mehrfach unserioese
Mittel verwendet: gestellte Szenen, nachtraeglich eingespielte duestere
Musikkulisse, Verallgemeinerungen von Einzelfaellen und unfaire
Unterstellungen.
Das Fremde und seine Wirkung
Wenn in unserer Gesellschaft etwas - und sei es nur ein Spiel - eine
gewisse Komplexitaet, einen gewissen Grad an Andersartigkeit erreicht
(beispielsweise durch viele Fachausdruecke), dann passiert es leicht, dass -
Aengste hineinprojiziert werden. Schnell werden selten auftretende
Extrembeispiele zur Regel gemacht; all dies aufgrund eines
Informationsdefizits, Angst vor Fremdem und einer Presse, die sich bei dem
ansteigenden Konkurrenzdruck ihre Sensationen selbst schaffen muss - auf
Kosten der Betroffenen. Mit der gleichen Art von Berichterstattung kann
man jeden Fussballfan als aggressiven Schlaeger und jeden Autofahrer als
potentiellen Moerder darstellen.
Wenn ein Mensch sich im Alltag und in seinem Hobby, sei es Angeln,
Fussball, Computer, Malen, Gesellschaftsspiel, Doppelkopf, Tauchen,
Bergsteigen oder eben Rollenspiel, als normal empfindet und von Freunden
und Bekannten als normal empfunden wird, und er durch die Presse ploetzlich
als labil, geistesgestoert und gefaehrlich dargestellt wird, dann muss er
einerseits sein Selbstbild pruefen, andererseits aber auch untersuchen, ob
etwas an der Berichterstattung fehlerhaft ist.
Worin besteht die unberechtigte Kritik am Rollenspiel?
- Okkultismus:
- In einigen Rollenspielregelwerken tauchen Elemente auf, die
vor allem von kirchlicher Seite als Okkultismus bezeichnet
werden. In Rollenspielen mit einer Fantasywelt als Hintergrund
ist es zum Beispiel moeglich, einen Zauberer zu spielen. Es
koennen Monster, Daemonen und Magie in der Geschichte
auftauchen etc.
Ebenso gibt es Regelwerke, die das Genre "Horror" als
Abenteuergrundlage verwenden. Auch hier existieren viele
Elemente, die dem Bereich Okkultismus zugerechnet werden.
Bei all diesen Dingen geht es aehnlich wie in Filmen um
Elemente einer Geschichte. Diese Elemente sollen
Atmosphaere und Spannung hervorrufen. Es finden nicht
tatsaechlich irgendwelche Rituale statt. Daher bezeichne
ich solche Vorwuerfe als Panikmache und Sensationslust der
Kirche und Presse. Wenn ein Mensch sich durch Rollenspiele
auch mit wirklichem Okkultimus beschaeftigt, dann handelt
es sich um einen Einzelfall. Man muesste einem solchen
Menschen praeventiv auch alle Filme oder Romane verbieten,
in denen Okkultes vorkommt. Solche Faelle zu
verallgemeinern ist also unsinnig.
- Sekten:
- Es hat bislang nur eine Sekte versucht, ueber Werbeanzeigen
in Rollenspielmagazinen (Sie nutzen nur 10% Ihres geistigen
Potentials) an Rollenspieler heranzukommen: Scientology.
Durch Proteste von Seiten der Rollenspieler (!) gegenueber
den Verlagen wurden bis heute keine Anzeigen der
Scientologen mehr angenommen. In einigen Magazinen wurde
daraufhin darueber aufgeklaert, was Scientology ist. Auf
diese Weise wurden damit jene Leser vorgewarnt, die bis
dahin noch nichts davon gehoert haben. Aehnlich erging es
uebrigens auch bekannten Computer- und Kinozeitschriften
(Computerwoche, Cinema u.a.m.), die auf Druck der Leser
Scientology-Anzeigen herausgenommen haben. Dieses Problem
betrifft also nicht nur die Szene der Rollenspieler. Im
Fall der Zeitschrift Cinema waren es Rollenspieler, die den
Verlag aufgeklaert haben.
Der Gruender der Scientology, L. Ron Hubbard, war Science-
fiction-Autor. Daher wird Scientology immer wieder mal
versuchen, im Kino- und Computerbereich sowie in der
Science-Fiction- und Fantasy-Szene fuer sich Werbung zu
machen. Erfahrungsgemaess vergeblich.
Ein weiterer Vorwurf in Bezug auf Sekten und Rollenspiel
kommt von einigen Psychologen. Diese meinen erkannt zu
haben, dass das Rollenspiel selbst sich sektenartiger
Elemente bedient:
"In einer Rollenspielgruppe gibt es einen Spielleiter
(Vergleich Sektenfuehrer / Guru), der Macht ueber die
Spieler hat. Die Gruppe hat Aussenstehenden gegenueber
unbekannte Regeln, schottet sich damit ab, und man kann
sich von der Gruppe nicht loesen."
Wer die Rollenspielpraxis kennt, weiss, dass diese
Vorwuerfe das Spiel masslos entstellen und unfair sind.
Missbrauch ist immer und ueberall im Leben moeglich. Diesen
aber zu verallgemeinern, zeigt, dass da entweder jemand
Sensationen braucht oder sich selbst produzieren will.
Wenn ein Spielleiter im Spiel unfair wird, dann kann die
Gruppe ihn absetzen. Wenn man mit der Meinung ueber den
schlechten Spielleiter alleine steht, sucht man sich in
Zukunft nettere Leute, mit denen man spielt. Das ist in
einer Skatrunde, wo der Kartengeber schummelt, nicht
anders. Man kann sich auch darauf einigen, dass alle paar
Wochen jemand anderes in der Runde Spielleiter macht.
Die Regeln zum Rollenspiel kann man sich in jedem Kaufhaus
oder Spieleladen holen. Der Vorwurf, als Rollenspieler
schotte man sich durch unbekannte Regeln ab, ist somit
falsch.
- Allgemeines:
- Oftmals wird auch die Mentalitaet von Rollenspielern
kritisiert: Da sitzen mehre Leute stundenlang an einem
Spiel und sprechen manchmal noch Tage spaeter mit
Begeisterung von ihren Abenteuern.
Es waere schoen, wenn heutzutage auch der
Durchschnittsbuerger noch von sich sagen koennte, dass er
sich von etwas wirklich begeistern laesst. Viele setzen
sich Abends ganz konventionell vor den Fernseher und
konsumieren passiv.
Auch auf andere Taetigkeiten, zu denen man sich nach
Feierabend oder am Wochenende hinreissen laesst, passt eher
die Bezeichnung langweiliger Trott, als dass sie einem
wirklich etwas geben.
Einige Fachausdruecke
Im Rollenspiel gibt es eine Vielzahl von Fachausdruecken, die von den
Regelwerken gepraegt wurden. Viele davon wurden inzwischen ins Deutsche
uebersetzt, es werden aber oft noch die englischen Ausdruecke verwendet.
Einige der gaengigsten Woerter nun im einzelnen:
- Charakter
- Rolle / vom Spieler gespielte Person
- CON
- Convention = Treffen von vielen Rollenspielern in
gemieteten Raeumlichkeiten. Dort werden dann an vielen
Tischen verschiedene Rollenspiele, Brettspiele und kleine
Con-Liverollenspiele gespielt. Ebenso werden Bilder,
Zeichnungen und Zinnfiguren ausgestellt. Einer der
groessten CONs war der STARD in Hamburg mit 2000
Rollenspielern, der jetzt durch den START ersetzt wurde.
- Damage
- Schadenspunkte.
- DM
- Dungeonmaster = Bezeichnung in alten Regelwerken fuer den
Spielleiter. Wird von langjaehrigen Spielern oft noch aus
traditionellen Gruenden verwendet.
- Event
- Vorkommnis = eine vom Spielleiter vorher geplante wichtige
Begebenheit, die dann waehrend des Spiels auftritt. Das
kann die Begegnung mit einem wichtigen NSC, ein Ueberfall
oder allgemeine Wuerze fuer die Geschichte sein.
- Fertigkeit
- Eine - meist erlernte - Fertigkeit wie z.B.: Schwimmen,
Reiten, Sprachen sprechen, Lesen/Schreiben etc.
- GM
- Gamemaster = Bezeichnung in alten Regelwerken fuer den
Spielleiter.
- HitPoints
- Lebenspunkte.
- LARP/LRPG
- LiveActionRolePlayingGame = Liverollenspiel.
- Lebenspunkte
- Masseinheit fuer den koerperlichen Gesundheitszustand des
gespielten "Charakters". Wenn diese Punkte, z.B. durch
koerperlich zugefuegten Schaden, Krankheit o.ae., den Wert
Null erreichen, dann stirbt der "Charakter".
- Master
- Bezeichnung in alten Regelwerken fuer den Spielleiter.
- Meister
- Bezeichnung u.a. in dem Regelwerk DSA (Das schwarze Auge)
fuer den Spielleiter.
- Modul
- Vom Spielleiter vorbereitetes Grundgerippe einer
Geschichte.
- NPC
- NonPlayingCharakter = NSC.
- NSC
- NichtSpielerCharaktere = alle "Charaktere", die vom
Spielleiter gespielt werden.
- Regelwerk
- Spielanleitung fuer ein Rollenspiel. Eine kleine Auswahl
von Regelwerken:
- AD&D Advanced Dungeons & Dragons
- D&D Dungeons & Dragons
- DSA Das Schwarze Auge
- MERS Mittel-Erde Rollenspiel-System
- PP&P Power, Pluesch und Plunder
- RM RoleMaster
- RQ Runequest
- SR Shadowrun
- usw.
- Rettungswurf
- Augenzahl des Wuerfels, die unter- oder ueberwuerfelt
werden muss, um die Wirkung einer Magie o.a. zu mindern
oder neutralisieren, bzw. einer Gefahr auszuweichen.
- RPG
- RolePlayingGame = Rollenspiel.
- Saving-Throw/Resistance-Roll
- Rettungswurf.
- Schaden/Schadenspunkte
- Koerperlicher Schaden, der dem gespielten "Charakter"
zugefuegt wird.
- Skill
- Fertigkeit.
- System
- Regelwerk.
Geschrieben von:
(19.12.1994 von Michael Bock, 2:240/5335, 46:9494/0)
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