Die Harpune

    oder

    Aragorn hat's endlich geschafft


    Teilnehmer: Arag, Aragorn, Corum, Cydarr, Elrond, Thorec
    Zeit: 14.7.- 16.7.2966
    Gamemaster: Elrond Elchtep, frei nach einer Geschichte von Sir Arthur Conan Doyle


    Prolog

    vor Pelagir, 15.6.2956

    Der Wind blies sanft, aber stetig aus südwest, am Himmel waren nur vereinzelt kleine Wölkchen zu sehen. Turgon II, Baron von Heroth, ging mit langsamen Schritten über das Deck seines kleinen Flußseglers, der sich im breiten Mündungsdelta des Anduin langsam den Fluß hinaufarbeitete. Der Baron liebte diese Momente. Hier, in der Nähe der großen Hafenstadt Pelagir, aber dennoch weit genug vom Ufer entfernt, um keine Einzelheiten erkennen zu lassen, hier fühlte er sich wohl. In der Stille der Strömung vergaß er die Pflichten der Amtsführung, die Last der Baronie, die ständige Drohung DER PROPHEZEIUNG. Im Juni 2956 gehörten Fahrten mit seiner ''Seehund'' noch zu den Zerstreuungen, die er sich manchmal leistete. Gedankenverloren streifte seine Hand an der großen Harpune entlang, die er bei solchen Fahrten immer bei sich hatte. Nicht, daß es auf einem Lastenkahn, noch dazu auf einem Fluß, etwas zu jagen gegeben hätte, doch die Waffe erinnerte ihn an seine Jugend. Nur dieser Gegenstand blieb von Braland, seinem Bruder, der im Dienste des Truchsessen bei einem Gefecht mit einer umbarischen Flotte auf See geblieben war.

    Im selben Moment war der Ausruf des Rudergängers zu hören: ''Boot Steuerbord voraus!'' und sogleich sah Turgon einen kleinen Nachen auf die ''Seehund'' zutreiben. Sonderbarerweise schien niemand an den Rudern zu sein, die deshalb lose ins Wasser hingen.

    Brus Fallorn, ehemaliger Walfänger und jetzt, am Ende seiner Laufbahn, Kapitän des Flußseglers, ließ auf das Ruderboot zuhalten. An Bord befand sich eine Person, offensichtlich in sehr schwachem körperlichen Zustand. Nachdem zwei Matrosen den Erschöpften an Deck der ''Seehund'' gebracht hatten und das kleine Boot vertäut war, ließ Turgon den Mann in seine Kabine bringen. Mit einer Flasche hochprozentigem ''Fangorner Orkenschreck'' bewaffnet ging der Baron daran, dessen Lebensgeister wieder zu erwecken.

    Zwei Tage später: Um Mitternacht, man hatte noch am Abend von Minas Tirith abgelegt, wurde Brus Fallorn auf seinem Rundgang über Deck durch das, angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit unerwartete, Geräusch einer sich öffnenden Tür aufgeschreckt. Er verbarg sich hinter einer Taurolle (wovor eigentlich, auf seinem eigenen Schiff?) und sah einen Schatten aus den Kabinen hervortreten. Beim genauen Hinsehen entpuppte sich die Gestalt als eine kräftige Person, die eine zweite wie einen Sack auf der Schulter hatte. Gerade wollte Brus aufspringen, als er im Träger den Baron Turgon erkannte. Dieser schleppte seine Last zur Reling. Anschließend zeugte ein dumpfes Aufplatschen, daß die ''Seehund'' nunmehr einen Passagier weniger an Bord hatte...


    Heroth, 14.7.2966

    Es war soweit. Reitende Boten hatten uns aus allen Teilen Rohans eingeladen zu einem Fest, mit dem Turgon II, Baron von Heroth, am 16.7. sowohl seinen 65. Geburtstag als auch seine wiedererwachte Lebensfreude feiern wollte. So kamen dann Arag, Cydarr und Thorec aus Roch, die Junker Aragorn und Corum aus ihren Garnisonen in Cuil (oder Kirn?) und Roch und ich von meiner Farm in Caldraugh. Bereits am 14.7. fanden wir uns in Heroth ein, denn wo etwas umsonst geboten wird, dort kann man getrost auch früher einkehren (oder so ähnlich ging doch das Sprichwort!?). Standesgemäß vergingen auch der Nachmittag und Abend mit mehr oder weniger großen Sauf- und Freßgelagen.

    Für den Verlauf des nächsten Tages war ein Ausritt in die Umgegend geplant. Zu Aragorns großem Mißfallen zeigte der Baron eine überaus strotzende Gesundheit und teilte dem verdutzden Dunadain mit, daß er, Turgon, ebenfalls eine alte Dunadain-Linie unter seinen Vorfahren ausgemacht habe und daher damit rechne, 100 Jahre alt werden zu können - unser Recke machte gute Miene zum ''bösen'' Spiel und stimmte Turgon zu, am liebsten hätte er ihn aber wohl persönlich vom Pferd gezogen...

    Turgon verabschiedete sich am frühen Nachmittag, weil er sich Staatsgeschäften widmen mußte. Wir waren am frühen Abend wieder in der Burg, aßen und tranken zusammen mit dem Baron und seiner Tochter, gegen 21.00 Uhr zog sich Turgon in seine Gemächer zurück.

    Um 8.30 Uhr des 16. 7., also an Turgons Geburtstag, schrillt ein Schrei durch die Burg, der alle, die ihn hören, senkrecht in den Betten stehen läßt. Wenige Sekunden später erstirbt die Stimme, abgelöst von einer anderen, nicht weniger durchdringend. Hastig angezogen eilen wir zum Ort des Geschehens .

    Dort treffen wir eine Menge Wachen, den Burgpriester und Berater Tynas und den Anführer der Leibgarde Turgons, den Kommandanten Yelan. Unseren Augen bietet sich ein grausames Bild: Turgon, der Baron Heroths, ist ermordet worden, auf gar schreckliche Weise. Wir finden seine Leiche aufrecht von einer Harpune gegen die Vertäfelung seines Studierzimmers genagelt vor. Diesen Anblick hatten die Dienstmagd und Turgons Tochter Perinore nicht ertragen und waren ohnmächtig geworden. Aragorn schaut zwar grimmig drein, innerlich jedoch lacht sein Herz... Sein Interesse an der Aufklärung dieses Falles wird durch den Hinweis geweckt, nach Sitte des Hauses von Heroth müsse nach einem gewaltsamen Ableben eines Barons dessen Tod geklärt werden. Außerdem muß eine Kondolenzzeit von einem halben Jahr eingehalten werden. (Beide Regeln sollen die Thronursupierung durch einen unrechtmäßigen Nachfolger erschweren.) In der Zwischenzeit wird Tynas mit Castamir die Baronie verwalten. Der Hinweis Cydarrs, eigentlich sei Aragorn ja der Hauptverdächtige, geht zum Glück in der allgemeinen Aufregung unter...

    Die Untersuchungen ergeben, daß Turgon schon einige Stunden tot ist. Die Harpune erweist sich als Erbstück seines verschollenen Bruders Braland, der vor vielen Jahren mit der gondorianischen Flotte in einem Gefecht mit einem umbarischen Verband auf See blieb. Offensichtlich wurde die Harpune von von einer großen und starken Person in einem Kampf geworfen, denn Turgon hatte sein Schwert gezogen. Da der Täter unbemerkt in den Raum kam, die Fenster alle geschlossen waren und die Wachen nicht alarmiert wurden, schließen wir, daß Turgon seinen Mörder gekannt haben mußte.

    Drei Utensilien werden gefunden: eine Schnupftabakdose mit den Initialien B.F., ein Schnitzmesser, gekennzeichnet C.J. und ein gebrauchtes Taschentuch (welches sich im Nachhinein als Eigentum einer Wache herausstellt). Als einziger Diebstahl wird der Verlust eines kleinen Kästchens bemerkt, dessen Inhalt aber unbekannt bleibt.

    Sofort werden alle Straßen Heroths abgeriegelt. Die Wachen und Gastwirte erhalten Befehl, nach einem säbelbeinigen Seemann Ausschau zu halten. Außerdem wird sofort eine kleine Konferenz (nein, kein Komitee!) einberufen, um die Verhöre der diensthabenden Wachen vorzunehmen. Die Türen des Todeszimmers werden versiegelt. Noch zwei Begebenheiten am Rande: der herbeigerufene Priester versagt kläglich, als er die Umstände herausfinden soll, die Turgons Tod begleiteten. Und Yelan kann gerade noch daran gehindert werden, Selbstmord zu begehen, da er den Tode seines Barones als sein eigenes Versagen betrachtet.

    Wir erfahren von dem kleinen Flußschiff des Barons, der ''Seehund'', auf welchem Turgon Reisen bis nach Pelagir unternahm. Vor fünf Jahren mußte es jedoch wegen finanzieller Schwierigkeiten verkauft werden. Weiterhin ergeben die Verhöre der Wachen, daß der Bäcker, welcher jeden Morgen unter den ersten Personen ist, die die Burg betreten, einen unbekannten Gesellen dabei hatte. Dieser war gestern abend beim Betreten und heute morgen beim Verlassen der Burg beobachtet worden. Sofort wird der Bäcker im Dorf unter großem Aufsehen verhaftet. Arag und Thorec durchsuchen seine Wohnung, ohne etwas verwertbares zu finden. Der Bäckers behauptet zu allem Überfluß auch noch, überhaupt keinen Gesellen zu haben! Also fragen wir uns weiter durch. Bauern hatten den besagten Mann nahe der Burg gesehen, aber niemand konnte uns etwas über seinen Verbleib sagen.

    Nach erfolglosem Spurenlesen finden wir schließlich eine altes Brotbrett (ja, lache nicht, geneigter Leser!), mit welchem sich der Schurke als Bäckergeselle getarnt hatte. Die scharfen Hunde zu seiner Verfolgung sind bereit, und wir warten schon im Sattel, als der Burgpriester in den Hof läuft. Er verkündet, das Siegel an der Tür des Arbeitszimmers Turgons sei aufgebrochen worden. Eine erneute eilige Untersuchung ergibt, daß zwei der Logbücher des Flußseglers gestohlen wurden. Sofort wird die Durchsuchung der Burg angeordnet.

    Tatsächlich findet man die Bücher unter den Habseligkeiten des Stallknechtes Harnik. Dessen richtiger Name lautet Celenam Jän. Nach nur fünf Minuten gesteht er den Diebstahl der Logbücher, nachdem Cydarr, Aragorn und Corum ihn gar nicht hatten zu Wort kommen lassen, weil sie sich lautstark über die richtige Foltermethode für Einbrecher unterhalten hatten: Celenams Vater war vor 10 Jahren in Illuvan des Diebstahles eines Ringes angeklagt worde. Er floh auf einem Ruderboot den Anduin hinunter. Seine Familie wurde ausgewiesen und siedelte sich in Heroth an. Celenam war von der Unschuld seines Vaters, von dem man nie wieder etwas gehört hatte, überzeugt. Als er einen Tag vorher in der örtlichen Kneipe erfuhr, daß Turgon einen Flußsegler besaß, und daß man vor 10 Jahren einen Mann in einem Ruderboot an Bord genommen hatte, beschloß der Diener, den Baron zu besuchen. Dieser hatte ihn aber, erstaunlicherweise, hinausgeworfen und mit der Kündigung gedroht, wenn er das Wort ''Seehund'' noch einmal in den Mund nähme. Also beschloß Celenam, die alten Logbücher der entsprechenden Tage zu stehlen, in der Hoffnung, entlastende Aufzeichnungen zu finden. Als er Nachts in das Arbeitszimmer kam, fand er Turgon bereits tot vor und floh. Sein Mut kehrte am nächsten Tag zurück, und er nahm die Logbücher an sich. Doch mit dem Diebstahl der Schatulle, die sich nebenbei gesagt im Burgbrunnen leer wiederfindet, will er nichts zu tun haben. So, so! Wahrheit oder nicht, Celenam kommt erst einmal in sichere Verwahrung.

    Im Logbuch ist die Seite des 15.6.2956, wie fast schon erwartet, herausgerissen worden! Glorreiche Idee: nach den Tagebüchern Turgons suchen! Aber auch da: die Seiten des 15.6. bis 18.6.2956 fehlen! Doch in der Kaminasche finden sich lesbare Reste (siehe Anhang). Mein lieber Turgon, so astrein war dein Gewissen wohl doch nicht! Und, aha, der Kapitän hieß Brus Fallorn - B.F. (ein ehemaliger Walfänger, dessen Karriere als Kapitän des Flußseglers zu Ende ging...)!

    Dann man auf zum Finale! Hinter den scharfen Hunden her nehmen wir die Verfolgung des ehemaligen Seebären auf. Allerdings kommen wir nicht weit. Bereits an der Tür der Kneipe ''Der Graue Mantel'' schlagen die Hunde an. Wir stürmen hinein, an dem verdutzten Gastwirt vorbei in den ersten Stock. Die Tür wird aufgebrochem, dahinter finden wir auch schon den Seemann - tot (was auch sonst). Er liegt in seinem eigenen Blut, offenbar von eigener Hand getötet, am Finger einen Ring. Dem bereits oben erwähnte Priester gelingt es auch in diesem Fall nicht, Licht in die Angelegenheit zu bringen - es war heute einfach nicht sein Tag!

    Die Untersuchung des Ringes dagegen ergibt, daß es sich um einen Artefakt handelte, mit dem man ein einziges Mal in seine eigene Zukunft blicken konnte. Offenbar hatte Brus diesen Blick getan und danach Selbstmord begangen.

    Ein Bote nach Illuvan hilft uns, die Geschichte abzurunden. Celenam hatte ungerechtfertigt an die Unschuld seines Vaters geglaubt. Dieser hatte den Ring, eine Anfertigung des Tempels von Illuvan, an sich genommen und war geflohen. Turgon, damals noch in ständiger Sorge um die Prophezeiung, konnte der Versuchung nicht wiederstehen und brachte den Dieb um, wurde jedoch von Brus Fallorn beobachtet. Jetzt, 10 Jahre später und in Geldnöten, schlich dieser sich in die Burg und ''besuchte'' Turgon. Die beiden gerieten in eine Auseinandersetzung, in deren Verlauf Turgon getötet wurde. Brus nahm den Ring an sich und probierte ihn im Gasthof aus, etwas, das Turgon in seinem Leben letzendlich doch niemals gewagt hatte.

    Wir schicken den (leeren) Ring an Eragir von Illuvan zurück, in eine nette Geschichte verpackt, wie der heldenhafte Turgon einem alten Piraten den gestohlenen Artefakt abnehmen wollte und dabei ums Leben kam.

    Wir wissen es besser und warten auf die Feier zur Amtseinführung Aragorns (und auf das damit verbundene Freibier...). Ebenso wartet der enttäuschte Celenam auf seinen Prozeß wegen Einbruchs und Diebstahls (von wegen Hand abhacken, wir sind doch nicht in Umbar!). Was er nicht weiß, Baron Aragorn wird ihn vermutlich großzügig begnadigen (als eine schöne Geste zum Amtsantritt), doch bis dahin verbringt unser Stallbursche die Zeit abwechselnd im Kerker und bei unbezahlter Burgarbeit...

    So endet die Geschichte um den Tod des nicht ganz unbelasteten Turgons und die daraus folgende Aragorn'sche Thronfolge, welche hoffentlich im Januar 2967 planmäßig gefeiert werden kann.

    Aufgeschrieben von Elrond
    zu Caldraugh im Jahre 2966.


    zurück
    wolf.krueger@dlr.de
    Mon Far 8 1996