In den Hallen Niennas


    Teilnehmer: Elanarion, Eldoran, Kaldun, Melisande & Menhir

    Zeit: 28.1.-2.2. 2967

    Gamemaster: Thomas ''Eldron'' Glaesker


    Kühl war die Nachtluft, und die Sterne glitzerten mit all ihrer Pracht. Was für eine Nacht! Der Wind rauschte durch ihr Gefieder und wenn sie einen Blick zurück warf, konnte sie mit ihren ungewöhnlich scharfen Augen noch die schneebedeckten Spitzen des Weißen Gebirges ausmachen. Wenn sie so dahinflog, hatte sie immer das Gefühl, die Welt gehöre ihr. Niemand konnte sich mit ihr messen.
    Doch heute schweiften ihre Gedanken immer wieder ab von der berauschenden Schönheit der winterlichen Natur unter ihr. Endlich hatte sie einen neuen Hinweis gefunden, ein weiteres Kapitel würde ihr gehören. Und eigentlich war es auch zu erwarten gewesen, daß in der Stadt, die seinen Namen trug, die Suche lohnen würde. Doch allein wollte sie die sicherlich nicht ungefährliche Suche aufnehmen. Gleich hier in Ethring müßte sie auf Freunde treffen. Sie blinzelte. Tatsächlich, dort unten winkten die Lichter einer Stadt. Was für ein trauriges Licht im Vergleich zu den Sternen, dachte sie spöttisch. Langsam kreiste sie abwärts...
    Nach diversen Abenteuern im Lebennin letzten Sommer, nach Hexentanz und Zeitreise und nicht zuletzt nach dem Ausstellen von Steckbriefen auf einige unter uns haben wir uns erst einmal nach Ethring in der Provinz Lamedon abgesetzt. Doch am 24.1.2967 stöbert uns Melisande auf: Sie erzählt uns von merkwürdigen Geschehnissen in Roch, deren Zeuge sie war. Viel wichtiger ist ihrer Meinung nach jedoch, daß wir sofort alle nach Dol Amroth aufbrechen sollten. Sie sei auf der Suche nach einem Buch, daß ihr persönlich sehr am Herzen liege, und es befinde sich wohl in Dol Amroth. Mehr Informationen läßt sie sich nicht entlocken.

    Also machen wir uns auf den Weg südwärts, zumal Elanarion in Dol Amroth wohl ein Häuschen hat und schon länger nicht mehr dort war. Doch unsere Ankunft in der Stadt des Prinzen ist alles andere als erfreulich: auf den letzten hundert Metern bis zum Stadttor säumen Gekreuzigte den Weg, es stinkt nach Tod und Verwesung. Wir müssen unsere Waffen am Tor abgeben und werden dabei mehr als mißtrauisch beäugt. In der Stadt scheint sich eine lähmende Furcht über die Bevölkerung gelegt zu haben. Niemand bleibt lange stehen, viele schauen sich immer wieder argwöhnisch um. Und überall sehen wir Mönche in weißen Kutten. Bloß nicht auffallen, und so sehen wir zu, daß wir möglichst ungesehen Elanarions Haus erreichen. Während hinter uns die Tür ins Schloß fällt, beschleunigt ein Kuttenträger seinen Schritt. Sein Ziel: der Nienna-Tempel...

    Elanarions Heim stellt sich für uns überraschenderweise keinesfalls als billige Absteige heraus, sondern vielmehr als drittgrößte Werft Dol Amroths. Nur wenig erzählt uns der Corsar über sich und seine Geschichte. Er hätte Umbar als Kind verlassen müssen, doch bis dato wäre seine Familie dort nicht ganz unbedeutend gewesen. Elanarions Verwalter, zu dem er so etwas wie ein Vater-Sohn-Verhältnis zu haben scheint, klärt uns über die momentanen Umstände in Dol Amroth auf: Prinz Adrahil und seine beiden Kinder Finduilas und Imrahil lägen im Sterben, eine unbekannte Krankheit raffe sie dahin. Sein Leiden aber ist in den Augen der Nienna-Anhänger ein großer Gunstbeweis dieser Vala. Der Nienna-Kult ist die größte religiöse Kraft in Dol Amroth und sein Vorsteher Nerumir führt für den Prinzen seit nunmehr drei Monaten die Regierungsgeschäfte. Seither hat sich das soziale und politische Klima in der Stadt grundlegend geändert. Nerumir räumt auf mit sogenannten asozialen Elementen, Schnellgerichte und Kreuzigungen sind an der Tagesordnung. Andererseits erdrückt er die Stadt mit Steuern, um den Ruhm seiner Göttin in prächtigen Bauwerken zu manifestieren. Und ein nicht gerade kleiner Teil fließe in seine eigenen Taschen, so sagt man.

    Da wir schon immer so unsere Probleme mit religiösen Eiferern hatten, wollen wir die Situation an Ort und Stelle klären: im Nienna-Tempel. Dieser erstrahlt wirklich vor unglaublicher Pracht, wurde gar um Reliquien der anderen Tempel ergänzt, welche im Gegensatz dazu schon etwas vernachlässigt wirken. Besonders unangenehm stößt uns aber auf, daß Nienna eindeutig als Höchste der Valar verehrt wird, während die übrigen wie Irmo oder Manwe als ihre Diener dargestellt werden. Ein Gespräch mit einem ''150%-igen'' Nienna-Anhänger bestätigt unseren Eindruck. Mit flauem Gefühl im Magen, und dem Eindruck, der Nienna-Orden sei schon fast paramilitärisch aufgebaut, kehren wir zu Elanarions Caragos-Werft zurück.

    Oh Elbereth, das Meer! Was für ein Genuß, welch eine Sehnsucht! Der stolze Adler breitet seine Schwingen aus und erhebt sich über die Stadt. Das Rauschen von Wind und Meer erfüllt die Luft, und sie wendet ihren Blick westwärts. Dort liegen sie, die ewigen Lande Valinors. Sie senkt ihren Blick und zwingt sich fast, sich auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Dort hinten, am Ende der Halbinsel liegt Tirith Aear, jener wunderbarer Turm errichtet von Galadriel und Celeborn vor nahezu 3.000 Jahren. Doch was sind schon 3.000 Jahre. Selbst heute sieht der Seeturm aus wie neu, und nach wie vor leitet sein Licht die Schiffe sicher in den Hafen von Dol Amroth.
    Sie legt die Schwingen an und nähert sich der Feste des Prinzen. Einmal, zweimal umkreist sie das mächtige Bauwerk. Dort oben brennt ein einsames Nachtlicht. Zwei, drei Flügelschläge, und elegant landet der Adler auf dem Fenstersims. Schau an, das Gemach des Prinzen. Er sieht wirklich nicht gut aus, leichenblaß liegt er in seinem Bett. Ein mit Kostbarkeiten behängter Nienna-Priester füllt einen Becher mit Medizin, und dann füllt er in das Gefäß noch den Inhalt einer Ampulle, die er aus den Falten seiner Kutte hervorholt. Dabei dreht er sich merkwürdig vom Bett und auch vom Nachtlicht weg, als ob der Prinz nicht sehen sollte, was er dort tut. Den geflügelten Beobachter am Fenster beschleicht ein beklemmendes Gefühl...
    Am nächsten Tag, wir schreiben den 30.1., beginnen wir mit unseren Nachforschungen. Bibliotheken- und Tempelbesuche stehen auf dem Programm, und dabei erhärtet sich unsere These, daß Nerumir wohl kaum der ''Retter Dol Amroths'' ist, sondern daß vielmehr er den Nienna-Orden in den letzten zwanzig Jahren systematisch umorganisiert hat und jetzt nach Macht und Reichtum giert. Während Melisande (''ich wollte doch nur ein Bild malen!'') den Garten des Prinzen untersucht, wird Eldron vor den Augen seiner Freunde entführt. In einen Weidenkorb gesteckt suchen seine Kidnapper mit dem Elb das Weite. Kaldun, Elanarion und Menhir nehmen sofort die Verfolgung auf. Schon droht der Korb auf einem Marktplatz unter seinesgleichen zu verschwinden, da gelingt es den Freunden, die Entführer zu stellen. Diese lassen von mir ab und werden nunmehr selbst zu Gejagten. Wir verlieren sie schließlich im Hinterhof einer Bäckerei.

    Interessanterweise ist es genau die Bäckerei, in der wir auch schon am Vormittag Informationen gesammelt hatten. Doch waren die Inhaber Schergen Nerumirs oder Mitglieder der sogenannten Irmo-Resistance. Diese soll, wurde hinter vorgehaltener Hande geflüstert, vom Irmo-Tempel aus den Widerstand gegen den Nienna-Kult aufbauen. Böse Zungen redeten von der Dol Amroth'schen Befreiungsfront. Oder war es die Befreiungsfront Dol Amroths? Eine nächtliche Observation der Bäckerei bringt vorerst noch keine Entscheidung. Statt dessen beobachten wir eine Prozession von Weißkutten, die im Nienna-Tempel verschwindet. Doch als wir diesen betreten, finden wir außer ein paar Meßdienern niemanden vor. Wo sind sie geblieben? Wir entscheiden uns auf Eldoran zu warten, bevor wir weitere Schritte unternehmen. Dieser kommt am nächsten Morgen per Schiff an. Doch bevor wir ihn begrüßen können, wird er schon von Weißkutten verhaftet. Wegen Spionage und Ausübung magischer Künste wird er verhört, doch mit Engelszungen und etwas Glück gelingt es ihm, vorläufig auf freien Fuß gesetzt zu werden -- ohne seinen magischen Quarterstaff allerdings.

    Inzwischen haben sich Melisande und Eldron ein Boot gemietet und vergeblich das Steilufer am Tirith Aear nach einem versteckten Höhleneingang abgesucht. Nach Melisandes Vorstellung müßte es unter dem Felsmassiv ein verzweigtes Höhlensystem geben. Dort könnte Nerumirs geheime Schaltzentrale sein. Die Gänge seien bereits von Galadriel angelegt worden und auch der Elbenkönig Amroth habe vor etwa 1.000 Jahren hier für ein paar Tage gelebt. Mehr läßt sie sich nicht entlocken und wir kehren erfolglos zurück.

    Am Vormittag hatte Kaldun unter seinem Kopfkissen eine Nachricht gefunden, die ihn zu einer geheimen Versammlung der Irmo-Resistance in die von uns beobachtete Bäckerei lud. Dort -- es war ausnahmsweise einmal keine Falle -- wurde ihm eröffnet, daß Nerumir plane, den Prinzen und seine Kinder noch heute nacht hinrichten zu lassen, und zwar in den geheimen Katakomben unter dem Palast. Als sie uns um Hilfe bitten, lassen wir uns zögernd auf das Wagnis ein. Am Abend besuchen wir den Tempel Niennas und sehen uns aufmerksam um. Nachdem Elanarion und Kaldun zwei Adepten um Auskunft ''gebeten'' hatten, finden wir den geheimen Zugang zum Höhlensystem. Diverse Hindernisse und Rätsel müssen überwunden werden, bis wir endlich das Allerheiligste erreichen, den Brunnen der Einzigen Träne, ein selbst bei Nienna-Anhängern ein sagenumwobener Ort.

    Dort finden wir auch Prinz Adrahil und seine Kinder. Ihre Hinrichtung sollte in Kürze stattfinden. Eine kurze Diagnose bestätigt unseren Verdacht: Die Familie des Prinzen wurde schleichend vergiftet, von einer unbekannten Krankheit kann keine Rede sein. Wir befreien sie, doch die Weißkutten bemerken uns. Melisande zieht sich zurück, um die Adrahil treu ergebene Palastwache zu alarmieren. Als Beweis ihrer Glaubwürdigkeit erhält sie des Prinzen Siegelring. Inzwischen führen wir einen Abwehrkampf gegen die Anhänger Nerumirs, doch mit dem Eintreffen der Soldaten gehen wir zum Angriff über. Wir verfolgen Nerumir bis in die höchsten Ebenen des Tirith Aear, wo er dann bereits angeschlagen angsterfüllt aus dem Fenster springt, als könne ihm jemand etwas wegnehmen, daß ihm wertvoller ist als sein Leben. Sein zerschmetterter Körper liegt auf den Klippen und rutscht langsam ins tosende Meer...
    Kraftvoll stößt sich Melisande vom Boden ab. Sofort greift der Wind in ihr Gefieder und hebt sie hoch in die Luft. Pfeilschnell jagt sie auf Tirith Aear zu, umkreist den Turm, ihre Blicke auf seine Fenster gerichtet. Da erscheint Nerumir, dicht bedrängt von Kaldun und Elanarion. Und er springt! Melisande bleibt fast das Herz stehen, als sie den Sturz des Hohepriesters verfolgt. Dann schlägt er auf, keine Frage, er ist sofort tot. Doch an seiner Hand bemerkt Melisande ein kurzes Glitzern. Ein Ring! Im Sturzflug stößt der Adler herab auf den langsam ins Meer rutschenden Körper. In letzter Sekunde packt der Schnabel zu. Und mit dem Ringfinger im Schnabel gewinnt sie schnell wieder an Höhe.
    Es ist also doch war! denkt Melisande euphorisch. Amroth hat einen der Sieben aus Moria retten können, bevor der Balrog alles an sich riß. Dieser Ring muß sofort nach Edhelond in Sicherheit gebracht werden. Und wenn ich zurück bin, muß ich mich unbedingt im Turm nach dem Kapitel meines Buches umschauen, daß dort versteckt sein soll. Aber eins nach dem anderen. Der Adler steigt höher in die Luft und segelt nordwärts auf den Wogen der Winde davon...

    So geschehen und aufgeschrieben von

    Eldron deLoessian

    Nachtrag: Bei der Durchsuchung von Nerumirs angesammelten Reichtümern fand Kaldun tatsächlich die sorgsam verschlossenen Blätter eines Buches. Vom Umfang her sicherlich nicht mehr als ein Kapitel. Merkwürdig nur, daß die Buchstaben vor seinen Augen so stark flimmerten und verschwammen, daß er absolut nichts lesen konnte.
    Da wird Melisande wohl einiges zu erklären haben.


    ANHANG2: DER PLAN DES INQUISITOR NERUMIR (Postscript)

    ANHANG1: ZEITTAFEL DOL AMROTH (Postscript)


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    wolf.krueger@dlr.de
    Mon Jul 3 1996